Auf Terrainkurwegen durch den Waldpark

Bei strahlendem Frühherbst-Sonnenschein fand am Sonntag, dem 15. September, eine besondere Wanderung im Bad Nauheimer Waldpark statt. Über 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten der Einladung der Bürgerinitiative Waldpark Skiwiese, um unter der Leitung des Badearztes Dr. Martin Düvel die historischen Terrainkurwege zu erkunden.

Die rund zweistündige Tour bot den Teilnehmern nicht nur die Möglichkeit, die teilweise heute noch sichtbaren Wege zu erleben, sondern auch einen tieferen Einblick in das Kurwesen in Bad Nauheim zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu gewinnen. Die Stadt zog damals zahlreiche prominente und vor allem wohlhabende Besucher an und entwickelte sich zu einem Treffpunkt des europäischen Adels für längere Kuraufenthalte.

Die Möglichkeiten der früheren Medizin waren um 1890 begrenzt, moderne Diagnosegeräte und Therapieformen warteten noch auf ihre Erfindung. Dr. Düvel betonte den Unterschied zwischen der damaligen „sprechenden“ Medizin und der heutigen Apparatemedizin. Die Heilbehandlungen waren geprägt von der langjährigen Erfahrung der Ärzte, die den Kurgästen nicht nur Badekuren im heilenden Bad Nauheimer Thermalwasser verordneten.

Eine wichtige Rolle spielte seinerzeit wohl auch die Bewegungstherapie: „Wohldosiertes“ Gehen nach den Lehren des Münchner Arztes Prof. Max Joseph Oertel, der bereits 1886 die positive Wirkung von „Terrain-Curen“ zur Stärkung des Herzmuskels beschrieb. Um die „Bodenbeschaffenheit eines Ortes zu Heilzwecken zu benutzen“ entwarf Oertel ein differenziertes, nach Steilheit und Länge unterschiedlich zu begehendes Wegenetz, bestehend aus insgesamt vier Schwierigkeitsgraden. Die Wege nun in mathematisch exakt berechneter und ärztlich überwachter Weise in die Umgebung hin zu erweitern, darin bestand die Innovation von Oertels Ansatz. Als erste Stadt, in der die „Terrainkur“ angewandt werden sollte, hatte Oertel Meran gewählt, dessen mildes, mediterranes Klima seit geraumer Zeit Weltruf genoss. Das wichtigste „Medikament“, das die Patienten der „Terrainkur“ von ihrem Arzt bekamen, war und blieb jedoch das wohldosierte Gehen eines Weges, dessen Anstieg ihrem jeweiligen Krankheitsbild entsprach und sodann sukzessive gesteigert werden konnte. Die „Terrainkur nach Oertel“ verbreitete sich rasch im damals bereits weit verzweigten Netz der europäischen Kur- und Sommerfrischeorte. Nach dieser modernen Therapiemethode wurden die Terrainkurwege im „Neuen Kurpark“, dem heutigen Waldpark Skiwiese angelegt. Modern war auch das „Zandern“, die „medico-mechanische Therapie“ im Zanderinstitut (heute Sankt Lioba Schule). 1893 wurde an dieser Stelle nach den Plänen des schwedischen Arztes Dr. Gustav Zander ein „Fitnessstudio“ mit 190 elektromechanisch betriebenen Bewegungsapparaten eröffnet. Die ärztlich verordnete Bewegungstherapie potenzierte die Wirkung des ortsgebundenen Heilmittels der kohlensäurehaltigen Solebäder und der Trinkkur. Nicht mehr und nicht weniger: Gesundheitscoaching – so würde man es heute nennen – schon um die Jahrhundertwende in Bad Nauheim!

Die Tour war ein voller Erfolg und machte deutlich, wie wichtig Bewegung in der Natur als effektive Methode zur Gesundheitsförderung ist. Die BI Waldpark Skiwiese bedankt sich herzlich bei Dr. Düvel und allen Teilnehmern für ihr Engagement und freut sich auf zukünftige Veranstaltungen!

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